Generell sind Sexualität und unterschiedliche Lebensweisen wichtige Themen für junge Menschen, mit denen sie sich gerade in der Pubertät intensiv auseinandersetzen. Deshalb ist es notwendig, dass Berater_innen sensibel mit sexueller Vielfalt und vielfältigen Lebensweisen umgehen. Es geht darum, eine offene, wertschätzende Grundhaltung und eine Sensibilität gegenüber LSBT*IQ -Lebensweisen zu entwickeln und dies den Jugendlichen zu signalisieren. Überschneiden sich homo-/transfeindliche Erfahrungen mit anderen Diskriminierungserfahrungen wie Rassismus, Klassismus oder Behindertenfeindlichkeit, muss davon ausgegangen werden, dass dies die Vulnerabilität von jungen LSBT*IQ-Menschen zusätzlich erhöhen kann.
Eine wichtige Voraussetzung für die Thematisierung von sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten ist die Reflexion der eigenen Rolle. Jede beratende Person vermittelt – oft unbewusst – Botschaften über gesellschaftliche Normen und die eigene Lebensweise. Durch das Erwähnen eines Partners oder einer Partnerin, den Verweis auf eigene Kinder, das Tragen eines Eherings oder andere sprachliche und körperliche Signale wird die eigene sexuelle Identität ständig thematisiert.
Es ist wichtig, diese Prozesse und die sich anschließenden Privilegien zu analysieren und diese zu reflektieren. Die Reflexion der eigenen Normierungen von Geschlecht und sexueller Orientierung ist Voraussetzung für geschlechtssensible Beratung. Überlegen Sie, welche Einstellungen Sie zu Lesben, Schwulen, Bisexuellen und zu trans- oder intergeschlechtlichen Menschen haben und welche Haltung Sie an Jugendliche vermitteln wollen.
Wenn Sie selbst nicht LSBT*IQ leben, ist es für Sie vermutlich nicht so leicht, sich in die Rolle eines Menschen im Coming-out hineinzuversetzen. Dennoch können Sie Unterstützung bieten. Sie müssen kein*e Expert*in sein oder persönliche Erfahrungen mit LSBT*IQ -Lebensweisen haben. Es geht vielmehr darum, eine offene und annehmende Grundhaltung gegenüber LSBT*IQ Jugendlichen zu entwickeln. Homo- und Bisexualität sowie Trans- und Intergeschlechtlichkeit sind weder Krankheiten noch Störungen der Identität. Kinder und Jugendliche erwarten von Ihnen Hilfe in Krisensituationen, keine Pathologisierungen.
Wenn Sie nicht nachvollziehen können, wie sich Menschen im Coming-out fühlen, sprechen Sie mit Erwachsenen, die ähnliche Erfahrungen haben und bereit sind, Ihnen diese mitzuteilen, oder lesen Sie Erfahrungsberichte. Es ist verständlich, wenn Sie selbst zunächst unsicher sind und Fragen in Bezug auf LSBT*IQ -Lebensweisen haben. Um diese Unsicherheit nicht in die Beratungssituation zu tragen, formulieren Sie Ihre Fragen und suchen Sie vorab nach Antworten. Lesen Sie Biographien von LSBT*IQ -Personen oder nutzen Sie dokumentarisches Filmmaterial.
Wenn Sie selbst LSBT*IQ leben und Coming-out-Erfahrungen haben, werden Sie sich vermutlich relativ gut in die Lage eines Kindes oder Jugendlichen im Coming-out versetzen können. Überlegen Sie, welche Entwicklung Sie selbst gemacht haben und welche Erfahrungen für andere hilfreich sein könnten.
Überlegen Sie, ob Sie sich gegenüber der Person, die zu Ihnen in die Beratung kommt, outen wollen. Gehen Sie aber nicht davon aus, dass diese Person ähnliche Erfahrungen wie Sie macht oder machen wird. Möglicherweise reagiert das Umfeld anders als bei Ihnen, die Person wächst in einer anderen Umgebung auf und macht andere Diskriminierungserfahrungen als Sie selbst. Außerdem sollte die ratsuchende Person sich nicht zu sehr mit Ihnen identifizieren. Versuchen Sie, empathisch zu sein, ohne Ihre eigenen Erfahrungen und Wünsche auf Ihr Gegenüber zu übertragen.
Auch wenn keine generellen Aussagen darüber gemacht werden können, wie man sich in einer Situation am besten verhält, gibt es dennoch grundlegende Hinweise für eine queersensible Gestaltung der Beratungssituation:
Im Folgenden erhalten Sie Anregungen für Beratungssituationen – LSBT*IQ -sensible Beratung ist vor allem eine Frage der Haltung.
Zeigen Sie, dass Sie offen sind, über LSBT*IQ -Themen zu reden, indem Sie entsprechende Poster aufhängen und Informationsmaterial auslegen. Die meisten Kinder und Jugendlichen, die das sehen, werden dies so deuten, dass Sie generell eine positive Einstellung zu vielfältigen Lebensweisen haben.
Identitäten sind immer im Kontext von miteinander verwobenen Machtverhältnissen wie z.B. Rassismus, Klassismus und Sexismus zu betrachten. Eine eindimensionale Perspektive, etwa auf „die“ Frauen wird der Komplexität von Lebenserfahrungen nicht gerecht und führt zu Stereotypisierung. Ebenso sind LSBT*IQ -Jugendliche keine homogene Gruppe, sondern haben sehr unterschiedliche Lebensrealitäten und (Diskriminierungs-) Erfahrungen.
Mehrdimensionale Diskriminierungen müssen also auch in Beratungssituationen immer mitgedacht werden. Hier zwei Beispiele:
1. Während weiße Mädchen Sexismus oft durch Sexualisierung erfahren, erleben Schwarze Mädchen und Mädchen of Color oft sexualisierte Exotisierung, also eine Verschränkung von Sexismus und Rassismus.
2. Viele lesbische, schwule oder bisexuelle junge Erwachsene mit Be_hinderungen berichten davon, dass sie erfolgreiche Bewältigungsstrategien im Umgang mit Diskriminierungen aufgrund ihrer Be_hinderung entwickelt haben, die sie auf das Coming-out übertragen konnten. Gleichzeitig werden z.B. spezifische Schwierigkeiten im Kontaktaufbau mit anderen LSBT*IQ -Personen berichtet, die durch die zahlreichen Barrieren in der Szene entstehen.
Erleben LSBT*IQ -Kinder und Jugendliche mehrdimensionale Diskriminierung, z.B. Rassismus und Homofeindlichkeit, ist es wichtig, sie auch auf spezifische Angebote wie z.B. von Lambda Berlin Brandenburg, GLADT e.V. oder LesMigraS aufmerksam zu machen.
Als beratende Person ist es wichtig, die eigenen Vorannahmen und Bilder hinsichtlich gesellschaftlicher Positionierungen, z.B. (vermeintliche) Religionszugehörigkeit, Be_hinderung etc., stets aktiv zu hinterfragen, um einfache Zuschreibungen zu vermeiden. Ebenso lassen sich sexuelle Orientierung oder die Geschlechtsidentität nicht an physischen Eigenschaften (z.B. Kleidung oder Styling) oder persönlichen Eigenschaften ablesen (mehr hierzu auf der FAQ-Seite LINK). Erfahren Sie, wie die ratsuchende Person fühlt und denkt, sodass diese ohne ein Urteil oder bereits vorgefertigte Antworten Unterstützung erfährt.
Wenn eine Person Erfahrungen mit Mobbing macht, fokussieren Sie das Mobbing, nicht die Identität der Person (erzwingen Sie kein Coming-out). Bieten Sie der Person Möglichkeiten an, von sich zu erzählen, aber überlassen Sie der Person die Entscheidung, die eigene sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität offenzulegen.
Fremdbezeichnungen der Mehrheitsgesellschaft zu vermeiden und Selbstbezeichnungen zu respektieren und nicht in Frage zu stellen, ist wichtig in der Arbeit mit allen Jugendlichen, unabhängig davon, ob die Bezeichnung sich auf die sexuelle Orientierung, die Geschlechtsidentität, Rassismuserfahrungen, Be_hinderung oder weitere Merkmale bzw. Diskriminierungserfahrungen bezieht.
Benutzen Sie wo immer möglich die Selbstbezeichnung, die die jeweilige Person für sich verwendet oder Selbstbezeichnungen von Gruppen. Beispiele hierfür sind Queer, Trans*, Non-binary, Schwarze Menschen, Sinti_zze und Rom_nja, Person of Color, Menschen, die beHindert werden etc.
Sprache beeinflusst unser Denken und unsere Wahrnehmung. Wenn Sie sprachlich verschiedene Lebensweisen sichtbar machen, hat das eine große Wirkung. Vermeiden Sie eine ausschließlich männliche Sprech- und Schreibweise, gehen Sie nicht davon aus, dass sich alle Menschen als Männer oder Frauen definieren und gehen Sie nicht davon aus, dass alle Menschen heterosexuell sind.
Das Coming-out ist ein wichtiger, nicht abgeschlossener Prozess im Leben von vielen Menschen mit LSBT*IQ -Lebensweisen. Machen Sie der ratsuchenden Person Mut, dass sie über alles mit Ihnen reden kann, was sie bewegt. Beratung ist vertraulich – outen Sie niemals eine andere Person ohne deren Einverständnis, auch nicht unter Kolleg*innen.
Sie können Kinder und Jugendliche nach ihren persönlichen, subjektiven Erfahrungen befragen. Signalisieren Sie dabei jedoch Offenheit und Interesse, ohne die Person auszufragen. Fragen Sie nach negativen und positiven Erfahrungen, denn kaum jemand macht ausschließlich schlechte Erfahrungen. Versuchen Sie vorsichtig herauszufinden, ob die Person Unterstützung in ihrer Umgebung erfährt und auf welche Ressourcen sie zurückgreifen kann. Stellen Sie, wenn gewünscht, Kontakt zu Jugendgruppen oder anderen Beratungseinrichtungen her. Besonders wichtig ist es, dass Jugendliche erfahren, dass sie nicht die einzigen auf der Welt sind, die sich so fühlen.
Forcieren Sie kein Coming-out und fragen Sie nicht direkt nach der LSBT*IQ -Identität einer Person. Geben Sie dem Menschen in der Beratung den nötigen Raum, um ggf. selbst und in eigenen Worten hierüber zu sprechen. Drängen Sie nicht zu weiteren Schritten im Coming-out. Jede Person muss das Tempo des Coming-outs für sich selbst finden. Sie können die Person jedoch bestärken, wenn sie von sich aus weitere Schritte vorschlägt. In den meisten Fällen wissen die Personen selbst, wann sie einen weiteren Schritt gehen können.
Versuchen Sie herauszufinden, welche Bedürfnisse die zu beratende Person hat. Jugendliche und auch Kinder können am besten selbst formulieren, welche Unterstützung sie sich wünschen. Selbst wenn Sie vermuten oder wissen, dass die Person LSBT*IQ ist, heißt das nicht, dass sie aus diesem Grund Unterstützung oder Rat sucht.
Es ist sehr hilfreich, wenn Sie aktuelle Kontaktdaten und Informationen von relevanten Einrichtungen, Beratungsstellen, etc. greifbar haben. Wenn Sie sich bei bestimmten Fragen unsicher fühlen, kontaktieren Sie eine Beratungsstelle, um sich zu informieren. Sie müssen nicht auf alle Fragen eine Antwort parat haben. Es ist legitim, sich selber beraten zu lassen oder auf weitere Expert*innen zu verweisen. Bieten Sie der ratsuchenden Person an, gemeinsam Antworten und Lösungen zu finden.
Überarbeiteter Auszug aus der Broschüre „Wie Sie vielfältige Lebensweisen in Ihrer Schule unterstützen können. Teil 4: Ein Leitfaden für die Beratung. (QUEERFORMAT 2019: https://www.queerformat.de/wp-content/uploads/191211_QF_Infobroschuere04_4_Vs01_F1.pdf)