In einer zunehmend diversen Gesellschaft ist auch Heterogenität, also Vielfalt, mittlerweile Alltag in den Jugendämtern und den meisten pädagogischen Einrichtungen. Dies bedeutet, dass Sie als Fachkraft Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Lebensrealitäten, Bedürfnissen und gegebenenfalls Diskriminierungserfahrungen begleiten. Um dem Anspruch der Kinder- und Jugendhilfe gerecht werden zu können, jedes Kind in der eigenen Entwicklung bestmöglich zu unterstützen, ist es somit wichtig, sensibel zu werden für deren vielfältigen Erfahrungswelten und -schätze. Dies bedeutet wahrzunehmen, welche strukturellen Diskriminierungserfahrungen Kinder z.T. schon ab dem Kita-Alter in Gesellschaft, Familie und/oder pädagogischen Institutionen machen. Denn Gesellschaften sind geprägt von Machtverhältnissen und Ungleichbehandlung, und diese Verhältnisse wirken auch in die Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe hinein.
Wir alle sind mit diskriminierenden Bildern sozialisiert worden. Kinderbücher sind häufig voller stereotyper Darstellungen von Mädchen*, PoC oder Kindern, die behindert werden - falls sie überhaupt vorkommen. Werbung und Medien verbreiten stereotype Bilder und Vorstellungen von LGBT*IQ-Personen oder auch Menschen, die z.B. als muslimisch gelesen werden. Diese Darstellungen beeinflussen, wie Menschen über bestimmte gesellschaftliche Gruppen nachdenken, oder was diesen Gruppen verallgemeinernd zugeschrieben wird. Und diese Annahmen sind schmerzhaft für diejenigen Kinder, Jugendliche und Erwachsenen, die von ihnen betroffen sind.
Niemand in unserer Gesellschaft ist frei von diesen Bildern. Unbewusst beeinflussen diese Bilder unser Denken, unser Sprechen und unsere Handlungen. Dies anzuerkennen, verschafft oft erst einmal Klarheit. Es lenkt den Blick weg von Diskriminierung als scheinbar individuellem Fehlverhalten und hin zur strukturellen Ebene von Diskriminierung.
Der erste Schritt hin zu einer diskriminierungskritischen pädagogischen Haltung ist es dementsprechend, anzuerkennen, dass diskriminierende Vorurteile und Bilder Teil eines kollektiven Wissens sind und damit alle Menschen angehen. Und, dass Bilder und Aussagen Schaden anrichten können, und zwar unabhängig davon, ob es eine diskriminierende Absicht gab, sondern abhängig davon, welche Wirkung und Auswirkungen die Aussage oder Handlung hatte.
Im Folgenden erhalten Sie Anregungen für Beratungssituationen – LSBT*IQ -sensible Beratung ist vor allem eine Frage der Haltung.
Für eine diskriminierungskritische Haltung ist es nötig, sich auf einen lebenslangen Prozess zu begeben, sowie in fachlichen Austausch mit diskriminierungserfahrenen Personen zu gehen. Es geht darum, diskriminierende Sprache, Bilder und Vorstellungen, die Menschen im Laufe des Lebens mitgegeben wurden, wieder zu „entlernen“.
Ein wesentlicher Schritt nach einer kritischen Selbstreflexion ist deshalb der Erwerb von Wissen zu Diskriminierungsmechanismen und der Lebensrealität von marginalisierten Menschen. Eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Critical Whiteness (Kritischem weiß-sein) ist in der diskriminierungssensiblen Arbeit besonders wichtig. Wissen zu Diskriminierung und Ungleichverhältnissen im Kontext von pädagogischer Arbeit sollte somit kein Extrathema oder individuelles Interessensgebiet einzelner Teammitglieder sein, sondern stellen einen weiteren elementaren Bestandteil von vielfalts- und vorurteilsbewusster pädagogischer Haltung dar.
Wichtiger Teil dieses Prozesses ist Fehlerfreundlichkeit sich und anderen gegenüber, solange eine Bereitschaft vorhanden ist, Verantwortung zu übernehmen und aus Fehlern zu lernen.
Diskriminierungskritische Professionalisierung heißt nicht nur Arbeit an der eigenen Haltung, sondern auch, wie und wann diese Haltung kommuniziert wird. Konkret geht es dabei um Momente, in denen es zu Diskriminierung kommt. Egal in welchem Kontext, ob gegenüber anderen Pädagog*innen, gegenüber Kindern, Jugendlichen oder Eltern: Es ist immer wichtig, Stellung zu beziehen und zu reagieren. Wer nach einer diskriminierenden Aussage nicht reagiert, suggeriert Zustimmung und sendet im schlimmsten Falle die Botschaft, dass diese Aussagen oder Haltungen in der eigenen Einrichtung akzeptiert werden. Reagieren Sie hingegen, stärken Sie die betroffene Person und setzen ein Zeichen, dass Diskriminierung hier nicht akzeptiert wird.
Als pädagogische Fachkraft liegt Ihnen das Wohl der Kinder, Jugendlichen und ihren Familien, mit denen Sie arbeiten, am Herzen. Selbstverständlicher Teil von pädagogischer Haltung ist Empathie, Verantwortungsbewusstsein und der Wunsch, Kinder und Jugendliche bestmöglich in ihrer Entwicklung zu begleiten und zu unterstützen. Ihre innere Positionierung und ein sensibler und bewusster Umgang mit den Themen Vielfalt und Diskriminierung führt nicht nur zu mehr Gerechtigkeit, sondern ist ein wichtiger Teil von pädagogischer Professionalisierung.